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Die Entstehung von Supererden

Die Entstehung von Supererden – warum diese Planeten häufiger sind als erdähnliche Welten

Ein Bericht aus den Gedanken eines Astronomen


Kapitel 1 – Die erste Entdeckung

Es war eine jener Nächte, die mir bis heute in Erinnerung geblieben sind. Das Observatorium war fast leer, die meisten Kollegen hatten ihre Analysen bereits abgeschlossen und die Rechner liefen im Hintergrund. Ich saß allein im Kontrollraum, der schwach vom Licht der Monitore erhellt war. Der Duft von Kaffee hing in der Luft, nicht frisch, sondern abgestanden, als hätte er den ganzen Tag im Automaten gestanden. Vor mir flimmerten Zahlenreihen, Lichtkurven, Messdaten. Für viele Menschen sind es nur abstrakte Linien, aber für mich bedeuteten sie mehr.

Damals arbeitete ich an den Daten des Kepler-Weltraumteleskops. Das Prinzip war einfach und zugleich genial: Man beobachtete das Licht von Sternen und suchte nach winzigen Verdunkelungen, die regelmäßig auftraten. Wenn ein Planet vor seinem Stern vorbeizog, nahm die Helligkeit für kurze Zeit minimal ab. Diese winzige Schwankung war mein Fenster zu einer anderen Welt.

Ich erinnere mich noch genau: Der Stern trug die Katalognummer Kepler-10. Zunächst war da nur ein Signal, kaum stärker als das Rauschen der Messgeräte. Ich hätte es fast übersehen, wenn nicht mein Blick zufällig länger auf der Linie verweilt hätte. Doch dann wiederholte sich die Absenkung nach exakt der gleichen Zeitspanne. Das war kein Zufall. Das war ein Planet.

Damals konnte ich es kaum begreifen: Auf dem Bildschirm vor mir zeigte sich der Schatten einer fremden Welt, hunderte Lichtjahre entfernt. Wir nannten sie später Kepler-10b, eine Gesteinswelt, die näher an ihrem Stern kreiste, als Merkur an der Sonne. Eine Höllenwelt, viel zu heiß, um Leben zu tragen. Aber das spielte keine Rolle. Es war der Beweis, dass wir Planeten sehen konnten, ohne sie zu sehen.

In den Monaten danach wiederholte sich dieses Erlebnis unzählige Male. Jeder neue Transit, jedes wiederkehrende Muster war ein Hinweis auf die schiere Fülle von Welten. Und bald fiel uns etwas auf: Die meisten dieser neuen Planeten waren nicht wie die Erde. Viele waren größer, schwerer, manche sogar doppelt so groß. Sie passten nicht in unser gewohntes Bild. Es war, als hätte das Universum einen anderen Standard gewählt.

So begann meine Faszination für das, was wir später „Supererden“ nannten.


Kapitel 2 – Die protoplanetare Scheibe

Wenn ich heute über die Entstehung von Planeten nachdenke, kehre ich in Gedanken oft zurück in die Hörsäle meiner Studienzeit. Dort hörte ich zum ersten Mal von den protoplanetaren Scheiben – jenen rotierenden Wolken aus Gas und Staub, die jeden jungen Stern umgeben.

Diese Scheiben bestehen zu 99 Prozent aus Wasserstoff und Helium, die leichten Elemente, die schon beim Urknall entstanden sind. Doch in den restlichen Prozenten liegt der eigentliche Schatz: Silizium, Eisen, Magnesium, Sauerstoff, Kohlenstoff. Sie bilden die Bausteine der Welten.

Die Vorstellung, dass aus mikroskopisch kleinen Staubkörnern durch Zusammenstöße und Gravitation ganze Planeten entstehen können, ist zugleich absurd und erhaben. Staub verklumpt zu Millimeter-großen Körnchen, dann zu Kieseln, dann zu Kilometer-großen Brocken – den Planetesimalen. Und aus diesen wachsen, über Millionen Jahre, die Protoplaneten.

Doch die Scheibe ist kein gleichmäßiges Meer. Es gibt Regionen mit höherer Dichte, Bereiche, in denen die Materie schneller wächst. Temperaturunterschiede entscheiden, ob Wasser gefriert oder verdampft, ob Gase gebunden werden oder entweichen. Diese kleinen Unterschiede bestimmen das Schicksal ganzer Welten.

Ich erinnere mich an eine Simulation, die wir damals durchspielten. Auf dem Bildschirm wanderte eine virtuelle Scheibe um einen Stern. Kleine Punkte markierten die Planetesimale. Manche stießen zusammen und verschmolzen, andere wurden aus der Bahn geworfen. Und wieder andere wuchsen so schnell, dass sie bald die Umgebung dominierten. Es war ein chaotischer Tanz, doch am Ende blieben stabile Bahnen, in denen Planeten kreisten.

Genau hier liegt der Ursprung der Supererden. Sie entstehen, weil viele dieser Scheiben nicht genug Material haben, um Gasriesen wie Jupiter zu bilden – aber mehr als genug, um Welten von zwei, fünf oder sogar zehn Erdmassen hervorzubringen.


Kapitel 3 – Warum Supererden häufiger sind

In den Jahren, die folgten, begannen wir zu begreifen, warum Supererden so häufig sind. Mehrere Theorien führten uns auf die richtige Spur.

Eine der spannendsten war die der Pebble Accretion. Kleine Partikel, nur wenige Millimeter groß, werden in der Scheibe von der Gravitation wachsender Protoplaneten eingefangen. Dieser Prozess ist unglaublich effizient – wie ein kosmischer Staubsauger, der den umliegenden Staub einsammelt. Schon kleine Kerne können so in kurzer Zeit zu mehreren Erdmassen anwachsen.

Dann ist da noch die Migration. Planeten bleiben nicht unbedingt dort, wo sie entstehen. Durch Wechselwirkungen mit der Scheibe bewegen sie sich nach innen oder außen. Viele Supererden, die wir heute beobachten, sind wahrscheinlich nicht dort geboren, wo wir sie sehen. Sie könnten weiter draußen entstanden und dann nach innen gewandert sein, wo sie eng um ihren Stern kreisen.

Beobachtungen mit ALMA, einem Radioteleskop in der chilenischen Atacama-Wüste, zeigten uns protoplanetare Scheiben mit Lücken, Ringen, Strukturen – Spuren von wandernden Planeten. In manchen dieser Ringe liegt genau die richtige Menge an Materie, um Supererden zu bilden, aber nicht genug für Gasriesen.

Es war, als ob die Natur selbst bevorzugt diesen Mittelweg wählte. Nicht klein wie Merkur, nicht riesig wie Jupiter – sondern irgendwo dazwischen.


Kapitel 4 – Unterschiede zur Erde

Je mehr wir über Supererden erfuhren, desto klarer wurde: Sie sind nicht einfach „größere Erden“.

Eine Supererde mit fünf Erdmassen hätte eine Oberflächengravitation, die doppelt so stark ist wie die unserer Erde. Das bedeutet: dichtere Atmosphären, vielleicht stärkere Vulkane, möglicherweise intensivere Plattentektonik.

Viele Supererden scheinen auch ihre ursprüngliche Wasserstoff-Helium-Atmosphäre behalten zu haben. Während unsere Erde diese Gase früh verlor, halten massereichere Planeten sie länger fest. Das Ergebnis kann eine dicke, dichte Hülle sein, die aus einer bewohnbaren Welt eine Miniatur-Version von Neptun macht.

Und doch haben einige Supererden Atmosphären, die vielleicht eher unserer gleichen. Der stärkere innere Kern könnte für ein stabileres Magnetfeld sorgen, das die Strahlung des Sterns abhält. In manchen Momenten frage ich mich, ob solche Welten sogar lebensfreundlicher sein könnten als die Erde.


Kapitel 5 – Astrobiologische Fragen

Es ist unmöglich, als Astronom über Supererden nachzudenken, ohne an Leben zu denken.

Ich erinnere mich an eine Diskussion in einem Café während einer Konferenz. Ein Kollege fragte: „Warum sollten wir uns so sehr auf eine zweite Erde versteifen? Vielleicht sind es die Supererden, auf denen Leben am ehesten entsteht.“

Tatsächlich spricht einiges dafür: Ihre dichteren Atmosphären könnten für stabilere Klimata sorgen. Ihre stärkere Gravitation schützt sie besser vor Atmosphärenverlust. Ihre größeren Kerne speichern mehr Wärme, was geologische Aktivität über Milliarden Jahre sichert – ein wichtiger Faktor für das Recycling von Nährstoffen.

Aber es gibt auch Schattenseiten. Auf einer Welt mit doppelter Gravitation wären Ozeane tiefer, Gebirge flacher, und ein Start in den Weltraum beinahe unmöglich. Vielleicht gibt es dort Zivilisationen, die nie die Sterne erreichen, weil ihre Raketen die Schwerkraft nicht überwinden können.

Und doch: Wenn ich die Daten sehe, die Häufigkeit, die Vielfalt – dann denke ich, dass irgendwo unter all diesen Supererden Leben existiert. Vielleicht nicht wie unseres. Aber Leben, das seine Umwelt prägt, wie es jedes Leben tut.


Kapitel 6 – Blick in die Zukunft

Die Zukunft unserer Forschung ist aufregend. Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop haben wir zum ersten Mal die Möglichkeit, die Atmosphären von Supererden zu untersuchen. Erste Spektren zeigen Wasser, Methan, Kohlendioxid. Noch sind die Daten grob, aber sie sind der Anfang.

Bald wird die ESA-Mission PLATO starten, die speziell nach erdähnlichen und Supererden suchen wird. Das Extremely Large Telescope in Chile wird direkte Bilder von Planeten aufnehmen können, die wir heute nur indirekt kennen.

Ich frage mich oft, ob ich es noch erleben werde, dass wir in den Atmosphären einer Supererde klare Biosignaturen entdecken – Sauerstoff im Gleichgewicht mit Methan, etwa. Das wäre der Moment, in dem wir wüssten: Wir sind nicht allein.


Kapitel 7 – Die stille Erkenntnis

Wenn ich heute in den Himmel blicke, sehe ich nicht mehr nur die Sterne. Ich sehe die Welten, die sie begleiten. Ich sehe die Supererden, die dort kreisen, unsichtbar und doch real.

Die Erde ist meine Heimat, einzigartig in ihrer Balance. Aber sie ist kein Maßstab für das Universum. Sie ist ein Sonderfall, vielleicht sogar eine Laune des Zufalls. Die eigentliche Norm, die bevorzugte Form des Kosmos, scheint die Supererde zu sein.

Es erfüllt mich mit Demut, zu wissen, dass unser Platz im Universum nicht der Mittelpunkt, sondern eine Randnotiz ist. Und doch schenkt mir dieser Gedanke Trost. Denn wenn Supererden so häufig sind, dann ist das Universum nicht leer. Es ist voll von Möglichkeiten.

Vielleicht werden wir nie dorthin reisen. Vielleicht bleiben sie für immer Punkte in Datenreihen. Aber allein ihr Dasein verändert, wie ich die Sterne sehe.

Und wenn ich wieder in einer stillen Nacht vor den Monitoren sitze, die Kurven verfolge und das Licht ferner Sonnen messe, dann weiß ich: Dort draußen, in unzähligen Bahnen, ziehen sie ihre Kreise – die Supererden, die Kinder der Sterne.


Quellen

  1. Raymond, S. N., & Morbidelli, A. (2020). „Planet formation: key mechanisms and global models.“ Annual Review of Astronomy and Astrophysics, 58, 47–86.

  2. Benz, W., et al. (2014). „Planet Population Synthesis.“ Protostars and Planets VI, 691–713.

  3. Bitsch, B., Lambrechts, M., & Johansen, A. (2015). „The growth of planets by pebble accretion.“ Astronomy & Astrophysics, 582, A112.

  4. Winn, J. N., & Fabrycky, D. C. (2015). „The occurrence and architecture of exoplanetary systems.“ Annual Review of Astronomy and Astrophysics, 53, 409–447.

  5. Seager, S. (2010). Exoplanet Atmospheres: Physical Processes. Princeton University Press.

  6. Lopez, E. D., & Fortney, J. J. (2014). „Understanding the mass–radius relation for sub-Neptunes: radius as a proxy for composition.“ The Astrophysical Journal, 792(1), 1.

  7. Dressing, C. D., & Charbonneau, D. (2015). „The occurrence of potentially habitable planets orbiting M dwarfs estimated from the full Kepler dataset.“ The Astrophysical Journal, 807(1), 45.